Sternenträume in Brandenburg

Eine Reise durch das westliche Havelland führt zu einem der dunkelsten Orte Deutschlands, einer einzigartigen Seenlandschaft und zur Interflug-Maschine Lady Agnes

Noch eine Straßenkreuzung, dann sind wir da. Holpernd verschwindet der alte Van hinter der kleinen Ortschaft Rhinow über einen der typischen landwirtschaftlichen Plattenwege in der nordbrandenburgischen Pampa. Nach 800 Metern kommen wir an einer kleinen Haltebucht zum Stehen, machen den Motor aus und genießen die absolute Stille um uns herum. Die dauert zwar nur wenige Sekunden, denn als die Frösche im nahen Wassergraben feststellen, dass wir keine Störche sind die ihnen ans Froschleder wollen, erhebt sich wie aus dem Nichts ein klangvolles Konzert.

Sternenträume Im Westhavelland
Der Blick ins unendliche All wird durch die Wolken getrübt. Das macht aber nichts.

Romantisches Frosch-Gequake am Kanal

Wir stehen romantisch Hand in Hand am Weiher und lauschen begeistert dem Gequake. Um uns herum gibt es hier nur endlose weite Wiesen und Kanäle. Willkommen im westlichen Havelland und willkommen am dunkelsten Ort in Norddeutschland. Hier stören weder Autos, Flugzeuge noch irgendwelche andere Lichtquellen am Horizont das ungetrübte Blickfeld auf das Sternenzelt am Firmament. Dunkelheit soll angeblich den Haarschwund verringern, haben wir mal irgendwo gelesen. Aber deshalb sind wir nicht hier. Wir suchen die unendliche Weite des Universums. Und einen schönen Blick auf das Zentrum unsere Galaxie, die Milchstraße. Soweit zur Theorie. Einen klaren Nachthimmel haben uns Deutschlands Wetterfrösche für den Brandenburger Himmel versprochen. Daraus wird vorerst nichts. Dunkle Regenwolken ziehen auf, ein paar Blitze leuchten am Horizont. Die Fotografenseelen müssen sich in Geduld üben. 

Sternenträume – Der Sternenpark Westhavelland

Der Naturpark Westhavelland wurde 2014 zum ersten Sternenpark in Deutschland ernannt und zieht sich über die Landesgrenze nach Sachsen-Anhalt bis zur Gemeinde Schollen hin. 1380 Quadratkilometer Landschaft, vollgestopft mit Naturerlebnissen und Sternenträumen. Es gibt keinen Eingang, keine Öffnungszeiten und auch keine Eintrittsgebühr. Der Titel „Sternenpark“ wurde durch die „International Dark Sky Association“, die Internationale Gesellschaft zum Schutz des dunklen Nachthimmels, bisher an fünf Regionen in Deutschland verliehen, darunter sind unter anderem die Eifel, die Rhön und der Harz. Astronomen und Sterneninteressierte kommen nun in Scharen seit mehr als 8 Jahren in den einsamen Norden Brandenburgs, um mit Teleskop, Kameras und Objektiven bewaffnet, einen Blick auf Jupiter, Mars und Co. zu werfen. Oder auch, um einfach mal richtige Dunkelheit zu erleben.

Sternenträume – Milchstraße und Co.

Uns hat es die Milchstraße angetan. Die sieht man in Deutschland von Juni bis August besonders gut. Ein Blick nach oben, kurz nach Mitternacht, macht dem Vorhaben aber schnell ein Ende. Die Realität hat uns eingeholt. Man soll bekanntlich keinem Wetterbericht trauen, den man nicht selbst geschrieben hat. Der Schatz des Westhavellandes, das funkelnde Band unzähliger Diamanten am Firmament, es bleibt heute Nacht mehr oder weniger verborgen. Die Regenwolken haben sich aus dem Staub gemacht. Gelegentlich schimmern mal ein paar Sterne durch den Nebel. Der wabert jetzt leicht über das Land und vermasselt uns die klare Sicht auf die Milchstraße. Die Fotokameras bleiben also im Rucksack. Dennoch sitzen wir noch lange vor dem Auto und genießen die Dunkelheit dieses Ortes. 

Sternenträume Im Westhavelland
Das ist der Himmel, von dem die Astrofotografen träumen. Wir haben hier schon öfters fotografiert. das Bild ist aus dem Jahr 2018.

Sternenträume Im Westhavelland
Mehr Sterne gibt es heute nicht zu sehen. Die Fotografenrealität kann manchmal ganz schön hart sein.

Die Bockwindmühle von Prietzen

Am nächsten Morgen geht es weiter in Richtung Prietzen. Das Dorf liegt auf der Südseite des Naturschutzgebietes Gülper See. Zentraler Punkt in der Ortsmitte ist die backsteinrote Dorfkirche, die in ihrem heutigen Aussehen Anfang des 20. Jahrhunderts eingeweiht wurde. Natürlich stehen die Grundmauern auf älterem Gestein. Bereits 1541 soll das Gotteshaus namentlich erwähnt worden sein. Wir fahren zur Bockwindmühle am Ende des Dorfes. Sie befindet sich auf einem kleinen Hügel direkt neben der Straße nach Gülpe und hat bereits mehr als 250 Jahre auf dem Buckel. Windräder drehen sich hier schon längst nicht mehr und auch Korn wurde hier schon lange nicht mehr gemahlen. Die Mühle dient heute als Industriedenkmal und als Station für die Beringung von Zugvögeln, die im nahen Gülper See Station auf ihrer Reise über die Kontinente machen. 

Im Westhavelland
Früher wurde hier Korn gemahlen. Heute ist die Bockwindmühle von Prietzen ein Denkmal.

Naturparadies Gülper See

Gleich hinter der Windmühle beginnt eine einzigartige Landschaft. Die Wiesen erstrecken sich bis zum Horizont, durchzogen von kleinen Havelkanälen und dem Gülper See. Kein Motoren-Geräuschband ist zu hören, keine Autobahn stört in der Ferne.  Laut ist es aber trotzdem am Himmel, den hier landen und starten jeden Tag unzählige Wildgänse zur Nahrungssuche auf die umliegenden Felder. Es rauscht in den Baumkronen. Hunderte von Vögeln zwitschern, schwingen sich übers Wasser auf der Suche nach etwas Essbarem. Das Naturschutzgebiet Gülper See ist im Frühjahr ein Brut-Dorado. Reiher, Kraniche, Wildgänse, Sing- und Zwergschwäne tummeln sich hier.

Das ganze Jahr herrscht hier reger Flugbetrieb

Und auch im Sommer reist die Flut der Vogelgeschwader nicht ab. Um Besuchern die Einzigartigkeit der Landschaft nahe zu bringen, verläuft auf der Südseite des Sees ein Naturlehrpfad. Er beginnt an der Bockwindmühle von Prietzen und führt 1,5 Kilometer entlang der Seewiesen zu einem großen Beobachtungsturm. Auf dem Wiesenweg läuft es sich ganz entspannt durch die Brandenburger Wildnis. Wir haben Glück an diesem Tag. Das ganze südwestliche Ufer des Gülper Sees ist voll mit rastenden Vögeln. Man kann lange in einem der Aussichtstürme am Ufer sitzen und den unzähligen Vogelstimmen lauschen, die diese Landschaft beschallen.

Im Westhavelland
Tausende Wasservögel rasten auf dem Gülper See

Fliegerdorf Stölln

Wir haben jetzt auch Lust aufs Fliegen bekommen und fahren mit dem Auto ein paar Kilometer Richtung Osten nach Stölln. Dort wartet der älteste Flugplatz der Welt auf uns. Flugpionier Otto Lilienthal soll hier vor etwa 120 Jahren seine ersten Gleitversuche gemacht haben. Das Denkmal im Kreisverkehr zwischen Rhinow und Stölln zeigt, das man stolz auf das Erbe des Ingenieurs ist. Im Ort selbst kann man sich im eigens dafür gebauten Museum über das Wirken der Lilienthals informieren. Oben auf dem Gipfel vom Gollenberg, dem Hausberg von Stölln, steht die Windharfe. Die Skulptur erinnert an den 9. August 1896, als der Abenteurer Lilienthal wieder einmal in die Luft ging und von einer Windboje 17 Metern in die Tiefe und zu Tode gerissen wurde.  

Eine Lady auf dem Berg

Die wahre Sehenswürdigkeit von Stölln aber ist heute eine Lady. Sie hat eine Flügelspannweite von 43 Metern, vier Triebwerke am Heck und brachte es auf eine Flughöhe von 13 Kilometern. Sie konnte mit einer Tankfüllung fast zehntausend Kilometer weit fliegen und hört auf den Namen Agnes. Die ehemalige Interflug-Maschine aus der DDR steht mitten auf dem Acker hoch über dem Ort Stölln und hat sich seit ihrer spektakulären Landung 1989 zu einem Besuchermagnet entwickelt. Agnes, so hieß übrigens die Ehefrau von Luftfahrtpionier Lilienthal. 

Im Westhavelland
Ein Rundgang durch die Maschine darf natürlich nicht fehlen.

Im Westhavelland
Eine Ausstellung im inneren des Flugzeuges erzählt die Geschichte der Luftfahrt in der DDR

Die Piloten Heinz-Dieter Kallbach, Peter Bley, Bordingenieur Ulrich Müller und Navigator Rudolf Döge werden heute noch wie die Götter verehrt, nachdem sie im Oktober 1989 in Berlin-Schönefeld abhoben und den rotweiß-lackierten Veteranen wenige Flugminuten später sicher auf der Stöllner Bergwiese landeten. Seitdem steht der alte Flugvogel sicher auf seinen Rädern und erzählt Besuchern in einer Ausstellung an Board von den Erlebnissen aus einer längst vergangenen Zeit. Die wiederum haben es sich nach der Führung an diesem Sommertag draußen auf Stühlen rund um die Interflugmaschine gemütlich gemacht und lauschen einem einheimischen Liedermacher. Der steht auf dem linken Flügel der Lady Agnes in luftiger Höhe und interpretiert Reinhard Mays Lied „Über den Wolken muss die Freiheit wohl Grenzen los sein“. Und so manch Zuhörer schaut irgendwie verträumt am Flugzeug Lady Agnes vorbei den Berg hinab in die grenzenlose Weite des Westhavellandes.

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Text erschien in der Berliner Morgenpost am 12. Juli 2022. Klickt gerne rein.

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