Hier oben, auf 1300 Metern Höhe, entspringt einer der mächtigsten Flüsse Europas. An seinem anderen Ende schaukeln riesige Containerschiffe auf den Wellen. Hier oben aber, auf dem weiten Plateau mitten im Nationalpark Karkonosze, sind es lediglich ein paar runde Steine, die dem mächtigen Strom Elbe zu Beginn seiner langen Reise von mehr als 1000 Kilometern die Ehre erweisen. Der Weg zur Quelle führt durch magische Wälder und tiefe Täler des Riesengebirges und damit auch durch die Heimat seines berühmtesten Einwohners: Rübezahl. Der Herr der Berge, so erzählt man sich, wacht hier in den einsamen Höhen über Mut und Geschick der Wanderer, belohnt das Gute und bestraft das Böse. Hier oben auf diesem einsamen Plateau ist es, abgesehen von so manchen fröhlichen Stimmen der Wanderer, so ruhig, dass man fast glauben könnte, die Stimme des Berggeistes zwischen den alten Baumstämmen hören zu können. Ein magischer Ort, dieses Riesengebirge.
Der Wanderweg beginnt im kleinen Bergdorf Obere Schüsselbauden, dessen Besiedlung wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Bergbau schon im 17. Jh. erwähnt wird (1642). Heute sind die Oberen Schüsselbauden als Zentrum des Skisports bekannt. Der kleine Erholungsort liegt ein paar Kilometer von Špindlermühle entfernt am Ende einer Sackgasse auf knapp 900 Metern Höhe. Hier endet die offizielle Straße. Nur wer eine Ferienhütte oder ein Apartment gebucht hat, darf hier in den Ort hineinfahren. Alle anderen müssen auf dem einzigen Parkplatz am Ortseingang ein Ticket ziehen.
Dementsprechend ruhig ist es auf der Hauptstraße im Sommer, die wir ein paar hundert Meter bergauf entlang laufen. In der nächsten Linkskurve biegt eine kleine Straße nach rechts ab. Der folgen wir ein paar Meter bis zur nächsten Kreuzung, dann geht es rechter Hand hoch hinauf in den Wald. Der Asphalt endet und geht über in einen normalen Waldweg. Dieser führt uns immer geradeaus knapp 3,8 Kilometer entlang der westlichen Bergflanke bis hoch auf den Gebirgskamm.
Oben auf dem Gebirgskamm angekommen, müssen wir uns entscheiden. Links führt der Wanderweg zu den Harrachsteinen und weiter entlang der Kesselgrube auf den Berggipfel des Kotel (1435 m) und anschließend in das kleine Örtchen Rochlitz. Wir wollen aber zur Elbquelle und nehmen den rechten Weg, der uns jetzt ganz entspannt einige Kilometer, mal leicht links oder rechts schwenkend, über das herrliche Gebirgsplateau des Nationalparks direkt zur Elbquelle (Pramen Labe) führt. Der weite Blick über die Elbwiesen und rüber zur Aussichtsplattform Śnieżne Kotły mit ihrer markanten Sendeanstalt sind ständige Wegbegleiter. Hier oben stört kein Autogeräusch mehr dieses Wandererlebnis. Bei optimaler Fernsicht sind der Jeschken und das Isergebirge im Westen zu sehen. Und natürlich lugt auch die Schneekoppe, der höchste Berg im Riesengebirge, in regelmäßigen Abständen hervor.
Riesengebirge – Die Elbquelle
Nach knapp drei Stunden Fußmarsch erreichen wir unser Ziel. Die Elbquelle (Pramen Labe) befindet sich auf dem Kamm des Riesengebirges (1386 m), mitten auf der Hochebene, die hier Elbwiese (Labská louka) genannt wird. Es ist auch nicht nur eine Quelle. Verborgen im Torfmoor sprudelt das klare Gebirgswasser an vielen Stellen aus dem Erdboden. Aber Vorsicht: Das Gebiet steht unter Naturschutz. Das Betreten der Moore ist verboten
An einer Steinmauer südlich der Elbquelle haben die Ranger 26 Stadtwappen angebracht. Seit 1968 sieht man hier die Wappen der bedeutenden Städte, durch welche die Elbe bis zur Nordsee hindurchfließt
Kann man das Elbwasser eigentlich trinken, fragen wir uns? Ja, man kann. Natürlich nicht aus dem Brunnen, da jeder Tourist dort kurz seine Hand hineinhält. Ein paar Meter weiter unten, wenn das Quellwasser aus einer der unzähligen Öffnungen im Moor ans Tageslicht sprudelt, halten wir unsere Trinkflasche in den Bach. Und: Es schmeckt vorzüglich.
Riesengebirge – Von der Elbquelle zuzrück ins Tal
Der Rückweg führt uns über die Elbfallbaude und den Pantschefall zurück in den Skiort Obere Schüsselbaude. Von der Elbquelle führt uns zuerst ein Wanderweg einen Kilometer Richtung Osten zur Elbfallbaude (Labská bouda). Der Pfad ist gut ausgebaut und leicht begehbar. Das Hotel Labská bouda liegt auf einer Höhe von 1340 m auf der Elbwiese. Das Gebäude aus dem Jahr 1975 trägt den gleichen Namen wie das 1965 abgebrannte Gasthaus. Die Geschichte dieses Ortes reicht jedoch weiter zurück, als eine angeblich geschäftstüchtige Frau Ziegenprodukte und Schnaps an Passanten verkaufte. In Labská bouda kann man etwas essen und auch übernachten. Außerdem befinden sich hier die Bergwacht, eine meteorologische Station und das Sonnen- und Ozonobservatorium des Tschechischen Hydrometeorologischen Instituts in Hradec Králové.
Wir lassen das Hotel linkerhand hinter uns und wandern auf einem schmalen Pfad direkt am Abhang entlang Richtung Süden zum Pantschefall. Den beliebten Wasserfall müssen wir aber schnell verlassen. Ein Regenschauer überrascht uns, und vom Naturspektakel, das Wasser stürzt hier 148 Meter über mehrere Kaskaden in die Tiefe, sehen wir außer einer Nebelwand nicht viel. Wir laufen also den steinigen Wanderweg weiter auf dem Bergrücken in Richtung Vrbata-Baude. Als sich der Nebel wieder lüftet, bietet sich uns eine fast mystische Aussicht auf die Berge und Täler des Riesengebirges.
Bergbaude mit historischem Anstrich
Wir passieren die Vrbata-Baude. Sie liegt am Kamm des Riesengebirges in einer Seehöhe von 1400 Metern am Goldenen Hügel. Ihren Namen erhielt sie nach Václav Vrbata aus Mříčná, der mit seinem Freund Bohumil Hanč aus Hrabačov während des internationalen Langlaufwettkampfs am 24. März 1913 gestorben war. Ein Wetterumschwung wurde ihnen zum Verhängnis. Oberhalb der Baude befinden sich die Grabhügel der beiden Freunde.
Wir nehmen jetzt für den Rückweg ins Tal nach Obere Schüsselbaude die Bergstraße. Die zahlreichen Serpentinen bieten ständig neue Blickwinkel auf die faszinierende Bergwelt. Als dann auch noch die Sonne die dunklen Regenwolken durchbricht, wird es auf einmal mystisch und wir ertappen uns dabei, wie wir neugierig auf dunkle Tannen und große Felsen schauen und ihn suchen, den Herrn der Berge: Rübezahl.
Eine Sage vom Rübezahl
Rübezahl, der Herr der Berge, der Geist des Riesengebirges, hatte der Sage nach seine Freude daran, den Menschen allerlei Streiche zu spielen. Manchmal aber erwies er den Armen die eine oder andere Wohltat und strafte die Hartherzigen und Geizigen.
Ein armer Glashändler wanderte einst mit einem schweren Rucksack voller Glaswaren durch das Riesengebirge. Er wollte seine Ware auf der anderen Seite verkaufen. Da er sehr müde geworden war, wollte er sich ausruhen, fand aber keinen geeigneten Platz, um seine Last abzusetzen. Der Berggeist Rübezahl, der ihn eine Weile heimlich beobachtet und seine Gedanken erraten hatte, verwandelte sich schnell in einen Baumstamm, der nun am Wegesrand lag. Erfreut ging der erschöpfte Wanderer zu dem Stamm, setzte seine Last ab und setzte sich darauf. Doch kaum saß er, rollte der Stamm unter ihm weg, den Berg hinunter, und der Händler fand sich zusammen mit den Scherben seiner Gläser am Boden wieder.
Traurig erhob sich der arme Mann und, als er seine zerbrochenen Schätze betrachtete, begann er bitterlich zu weinen. Da kam Rübezahl, der wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, auf ihn zu und fragte nach dem Grund seines Kummers. Offen erzählte der Händler von seinem Unglück und dass er bei seiner Armut nicht die Mittel habe, um neue Vorräte zu kaufen. Rübezahl offenbarte dem Traurigen, wer er sei, und dass er ihm helfen jetzt wolle, neue Glaswaren zu beschaffen.
Vor den Augen des Glashändlers verwandelte sich Rübezahl nun in einen Esel und befahl ihm, ihn zur nächsten Mühle zu bringen. Der Müller benötigte sicher gerade einen Esel und würde das Tier bestimmt kaufen. Der Mann solle sich jedoch nicht weiter darum kümmern, sondern mit dem Geld schnell verschwinden. Also führte der Mann den Esel zur Mühle. Der geizige Müller handelte noch einen Taler vom Preis herunter und der Esel wechselte den Besitzer. Der arme Mann nahm das Geld, er hatte sogar mehr Geld bekommen, als seine Glaswaren gekostet hatten, und machte sich schnell aus dem Staub.
Der Müller war sehr zufrieden mit seinem guten und günstigen Kauf, brachte den Esel in den Stall und beauftragte den Knecht, ihn zu füttern. Dann ging er in seine Stube. Doch kurz darauf kam der Knecht und rief verstört: „Herr, der neue Esel ist verhext! Ich habe ihm Heu gegeben, aber er rief: ‚Ich fresse kein Heu! Ich will Braten und Kuchen haben!‘“ Der Müller wollte die Geschichte nicht glauben und ging mit in den Stall. Er nahm eine Handvoll Heu, hielt es dem Tier hin und streichelte es. Der Esel jedoch schlug mit dem Huf nach dem Müller und rief erneut: „Ich will Braten und Kuchen! Ich will Braten und Kuchen!“
Erschrocken wich der Müller zurück. Der Esel drehte sich um, trat den Müller mit den Hinterbeinen, sodass dieser ins Heu fiel, und sprang dann durch die offene Tür nach draußen, wo er schnell verschwand. Der Müller aber jammerte: „Hätte ich doch nur meine zwölf Taler zurück! Mein schönes Geld!“ Es geschah ihm recht, denn er war geizig und hartherzig und hatte erst am Vortag einen armen Bauern um zwölf Taler betrogen. Rübezahl hatte damit den Geizigen bestraft.