Landvergnügen – mit dem Van durch Brandenburg

Das Roadtrip-Abenteuer beginnt, sobald die Autotür ins Schloss fällt. Mit brummigen Geräuschen startet der alte Dieselmotor. Als wir mit unserem 30 Jahre alten Van die Stadtgrenze erreichen, überholen uns links auf der Autobahn die Lkw. Rechter Hand fliegt die Brandenburger Landschaft im goldenen Licht der Abendsonne vorbei. Das ist Entschleunigung pur. Drei Tage wird das jetzt so gehen. Wir wollen abtauchen, die Stille genießen, Sterne beobachten. Keine Campingplätze anfahren, dafür drei Nächte auf Bauernhöfen verbringen und schauen, wie es da so ist. Die Berliner Agentur Landvergnügen hat das Konzept aus Frankreich importiert. Es funktioniert ganz einfach: Camper kaufen sich eine Jahresvignette und dürfen dafür mit ihren Wohnmobilen jeweils für eine Nacht auf den teilnehmenden Höfen stehen. Manchmal ist der Stellplatz umsonst. Andere nehmen einen kleinen Obolus, zum Beispiel für das Nutzen einer Toilette.

Der erste Stop mit dem Van ist im Oderbruch


Blick über die Deichkrone

Das erste Ziel befindet sich im Oderbruch. Vor dem Deich endet die Straße. Am Ortseingang von Zollbrücke liegt das Theater mit dem passenden Namen „Theater am Rand“. Es wurde 1998 von Thomas Rühmann und Musiker Tobias Morgenstern gegründet. Rühmann spielt im übrigen den Chefarzt in der Serie “In aller Freundschaft. Beide Gründer wurden für ihr kulturelles Engagement hier in Zollbrücke sogar mit dem Verdienstorden des Landes Brandenburg ausgezeichnet. Ein paar Meter weiter, hinter dem drei Meter hohen Deich fließt träge die Oder in Richtung Stettiner Haff. Von der polnischen Seite aus grüßen Angler in unsere Richtung. Gastgeber Michael Rubin vom Ziegenhof Zollbrücke wartet bereits. Mit geschultem Blick nimmt er von unserem Auto Maß und dirigiert uns dann in eine ruhige Ecke seinen Hofes. Es gibt eine Toilette, eine Dusche und einen Hofladen. Schnell sind Stühle und Tisch aufgestellt. Eine Schar Hühner kommt zur Begrüßung vorbei und interessiert sich für das Innenleben unseres Wohnmobils. Von den Ziegen ist nichts zu sehen.

Ein Storch auf Nahrungssuche im Bruch

Im Hofladen kaufen wir etwas Ziegenkäse für das Abendessen. Der wird in Scheiben geschnitten, mit Schinken ummantel und dann für ein paar Minuten gebacken. Serviert auf grünem Salat ist das eine herzhafte Campermahlzeit. Kerzen kommen auf den Tisch und eine gute Flasche Wein. Wir beobachten einen einsamen Storch, der seelenruhig zwischen Strohballen nach etwas Essbarem sucht. Am Himmel kreisen Bussard und Wildgänse. Die Stille über den Feldern tut der Großstadtseele gut. Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne, und es geht in Richtung Schorfheide. Vorbei am größten Fahrstuhl für Schiffe in Europa. Genauer genommen sind es mittlerweile zwei, denn direkt neben dem alten funktionstüchtigen Industriedenkmal aus dem Jahr 1934 entsteht ein weiteres, hochmodernes Hebewerk. Doch wie beim Flughafen BER weiß niemand, wann es richtig fertig gebaut ist. Auf dem Besucherparkplatz herrscht enormer Andrang. Wir lassen die Menschenmassen hinter uns und genießen stattdessen den frischen Fahrtwind.

Reise durch Buchenwälder und über weite Wiesen

Die Reise führt durch uralte Buchenwälder, durch weite Wiesen und Felder. Nächster Halt ist der Ökohof von Kornelia und Lutz Engler in Serwest bei Chorin. Vorsichtig öffnen wir das große Hoftor. Niemand ist zu sehen. Auch nicht der angekündigte Wachhund Sumo, ein in die Jahre gekommener Chow-Chow. Dieser steht stattdessen fasziniert am Hühnergehege und beobachtet, wie die Hausherrin, bekleidet mit Shirt, kurzer Hose und grünen Gummistiefeln, 400 Hühnerdamen in den Stall scheucht. „Die müssen jetzt schlafen. Morgen früh um 6 Uhr geht es zum Schlachter“, erzählt Ökobäuerin Engler und lacht. Uns Großstädtern wird ganz komisch im Magen, und wir ertappen uns dabei, wie wir innerlich allen Hühnern Lebewohl sagen. Aber so ist das Landleben. Dann erfolgt eine herzliche Begrüßung. Kornelia Engler zeigt uns den Hof, Toilette und das kleine Café. In einem großen Kühlschrank steht gekühltes Bier, Wein und Sekt. Es gibt Fleisch, Brötchen und Naschereien zu kaufen. Fast wirkt das Angebot wie in einem kleinen Dorfladen. Der Clou sind die Hochbeete im zentralen Teil des Hofes. Möhren, Kartoffeln oder Bohnen zum Selberernten. Während wir zehn Möhren aus dem Erdboden buddeln, kommen Kindheitserinnerungen wieder hoch. Uns gefällt es hier. Seit sieben Jahren bieten die Englers Campern einen Platz auf ihrem Hof an. „Wir sind gut ausgebucht. Viele Besucher bleiben gern auch länger“, sagt Kornelia Engler. Eigentlich sehe man es auch am liebsten, würden die Camper mindestens zwei Nächte übernachten. Dann müsse man nicht jeden Tag neuen Anreisenden die Gepflogenheiten des Hofes erklären, fügt die Ökobäuerin noch hinzu. Kurze Zeit später wird es ruhig auf dem Hof. Die Hennen im Hühnerstall haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden, die geernteten Möhren sind zu einem Salat verarbeitet. Beim Nachbarn dudelt leise Rockmusik aus dem Autoradio. Am Himmel arbeiten sich rote Schleierwolken Richtung Osten, und manchmal rauschen ein paar Eisenbahnwagen auf der nahen Bahntrasse Berlin–Stralsund vorbei. Die frische Landluft fordert Tribut. Wir gehen beizeiten ins Bett.

Vorbei am Kloster Zehdenick zum letzten Stop der Roadtour

Der letzte Hof auf unserer Roadtour wartet. Es geht vorbei am Kloster Zehdenick und an der Havelstadt Gransee mit ihrer alten Stadtmauer. Vor dem Ortseingang der Gemeinde Rauschendorf werden seltene Tiere am Horizont sichtbar. Auf einer großen Wiese grast eine Herde Alpakas. Die hören auf Namen wie Illuminati, Flavio, Monbijou oder Chianti und schauen uns mit süßen Knopfaugen erwartungsvoll. Seit sechs Monaten wohnt Züchterin Jennifer Draba-Quell hier. Sie bietet interessierten Besuchern Führungen oder Alpaka-Picknicks an, inklusive Streicheleinheiten. Für einen Besuch sollte man sich vorher anmelden. Unser Van rollt noch ein paar Meter weiter und stoppt abrupt. „Da komme ich doch niemals durch“, sagt die Fahrerin und deutet auf die kleine Durchfahrt in der Feldsteinmauer. Unser Gastgeber beruhigt. Es wird schon. Tatsächlich hoppelt der alte Krankenwagen unbeschadet die winzige Auffahrt im Fontane-Garten hinunter, und wir stehen in einem grünen Paradies. Links befindet sich das alte Gärtnerhaus, liebevoll hergerichtet. Die anderen 8000 Quadratmeter gehören der Natur. Der Berliner Fotograf Michael Haddenhorst und seine Frau Isabel haben sich hier draußen in der Einsamkeit ihr Refugium geschaffen und im Fontanejahr 2019 diesen Ort für Kultur und Begegnungen geschaffen. „Corona hat die Kultur verhindert“, sagt Haddenhorst. „Aber die Camper, die können von Donnerstag bis Sonntag vorbeikommen.“ Wir treffen Sina und Alexander aus Berlin. In zwei Wochen gehen sie mit ihrem Bulli auf Weltreise. Der Fontane-Garten muss als Generalprobe herhalten. „Wir wollten sehen, wie es sich zu zweit auf acht Quadratmetern wohnen lässt“, lacht Alexander. Abends sitzen wir mit dem Hausherren unter Kletterrosen und Lavendel auf der Terrasse, genießen die frische Landluft und ein Glas Wein. Spät in der Nacht schiebt der Wind die letzten Wolken am Himmel auseinander, und am südlichen Firmament kann man tatsächlich neben dem klaren Sternenhimmel auch noch die Milchstraße bewundern. Ein magischer Moment, den wir in vollen Zügen genießen.

Anfahrt, Gastronomie, Sehenswürdigkeiten

Landvergnügen

Den Katalog mit mehr als 800 Adressen teilnehmender Höfe in Deutschland gibt es für 34,90 Euro im Buchhandel oder im Internet. Aufgrund der Corona-Krise ist die Nachfrage enorm, und die Vignetten sind derzeit ausverkauft. Auf einigen Höfen kann man aber auch ohne Vignette stehen. 24 Stunden vor Ankunft bitte telefonisch nach einem freien Platz auf dem gewünschten Hof fragen. Preise für die Stellplätze variieren von kostenlos bis zu einem festen Obolus zum Beispiel für Toilettenbenutzung oder Müllentsorgung und sollten bei der Buchung abgefragt werden.

Unsere Stationen

Ziegenhof Zollbrücke Zollbrücke 20 in 16259 Oderaue
Tel.: 0173/6131569

Ökohof Engler Serwester Dorfstraße 72, 16230 Chorin
Tel.: 01712070603

Fontane-Garten Rauschendorf, Hauptstraße 7, 16775 Sonnenberg OT Rauschendorf Tel.: 0175/4026990

Essen und Trinken

Viele Höfe bieten ihre eigenen Produkte in ihren kleinen Läden an. Die Informationen über das jeweilige Angebot stehen im Katalog.

„Alte Klosterschänke“ Chorin Am Amt 9, 16230 Chorin, Öffnungszeiten: sonnabends und sonntags von 12 bis 18 Uhr. Tel.: 033366/530100

„Gasthaus Alter Hafen“ Ziegeleipark Mildenberg Ziegelei 10, 18792 Zehdenick. Direkt an der Havel gelegen. Wochentags geöffnet 17 bis 22 Uhr, an den Wochenenden 11.30 Uhr bis 22 Uhr. Es gibt deftige Hausmannskost wie Schnitzel, Bratkartoffeln oder den Milden-Burger. Zudem servieren die Köche frischen Salat aus der Region. Von der großen überdachten Terrasse kann man den Freizeitkapitänen auf der Havel zusehen. Tel.: 03307/301870

Sehenswürdigkeiten

Theater am Rand Zollbrücke 16, 16259 Oderaue, Tel: 033457 66521

Schiffshebewerk Niederfinow Hebewerksstraße 70A, 16248 Niederfinow. Die 1934 in Betrieb genommene Anlage ist ein technisches Meisterwerk, funktioniert auch nach mehr als 90 Jahren tadellos und kann täglich von 9.30 bis 17.30 Uhr besucht werden. Gleich nebenan entsteht das neue, hochmoderne Hebewerk.

Kloster Chorin Amt Chorin 11a, 16230 Chorin. Geöffnet täglich von 9 bis 18 Uhr. Schon von Weitem sieht man die Backsteinmauern des alten Baus. Wer aber keine Lust auf Architektur hat, läuft den drei Kilometer langen Rundwanderweg über den ehemaligen Weinberg und genießt den Blick auf die Wälder der Schorfheide.

Kloster Zehdenick Klosterstraße 2, 16792 Zehdenick. Es wurde 1250 als Zisterzienserinnen-Kloster gegründet, der Legende nach zur Erinnerung an ein Hostienwunder. Die Klosterkirche zerstörte ein Brand. Sie wurde nie wieder aufgebaut. Es gibt einen Klostergarten, einen Friedhof und einen Kräuter-Schaugarten.

Ziegeleipark Mildenberg Ziegelei 10, 16792 Zehdenick. Direkt am alten Hafen beginnt eine Entdeckungstour durch viele Jahre Ziegelei- und Technikgeschichte der Region. Einst wurden hier Milliarden von Ziegeln hergestellt und mit Lastkähnen nach Berlin verschifft. Feldbahnen nehmen Besucher mit auf einen Rundfahrt.

Tiny Alpaka Town Am Ortseingang von Rauschendorf liegt die Alpaka-Farm von Jennifer Draba-Quell. Führungen, können unter www.tinyalpacatown.de gebucht werden. Außerdem gibt es einen kleinen Hofladen mit Alpaka-Produkten.

In der Nähe

Wildpark Schorfheide Prenzlauer Straße 16, 16244 Schorfheide. Täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 9 Euro, ermäßigt 6,50 Euro.

Wandern am Parsteiner See Von der Dorfkirche in Brodowin führt ein Wanderweg sechs Kilometer am Brodowinsee und um den Wiesensee herum.

Zu Schluss: Das Sternenbild. Man kann sie wirklich sehen – die Milchstraße.

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There are 3 comments

  1. … ich verneige mich lächelnd vor diesem Beitrag, streichel ELLI kurz über die Haube (imaginär) und hefte Euch ***** 5 Sterne ***** aus der Milchstraße an euren Blog ! ( den Rest diskutieren beim Eis auf dem roten Sofa 😉 … )

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