Wenn uns mal wieder die Wanderlust packt, muss es ja nicht gleich die Ferne sein. Manchmal liegt das Gute bekanntlich gleich um die Ecke. Als Theodor Fontane den kleinen Fischerort Schmöckwitz besuchte, schien er wenig angetan von der Location. „Öd und ärmlich“ sei es hier, schrieb er im vierten Teil seiner „Wanderungen“. Die kleine Dorfkirche Kirche sei ein „trister Bau“, der Gesamteindruck ernüchternd. Heute wäre der Reiseblogger Fontane bestimmt anderer Meinung. Schmöckwitz hat sich herausgeputzt. Schicke Häuser stehen entlang der Straßen. Der Berliner Geldadel hat den Vorort für sich entdeckt. Man kann ein Eis essen, beim Chinesen dinieren und mit einem gemieteten Hausboot die Gewässer unsicher machen. Und man kann nach wie vor hervorragend wandern. Zum südlichsten Punkt der Hauptstadt zum Beispiel, der, natürlich hinter vorgehaltener Hand, von den Einheimischen auch gerne als Kap Horn von Berlin bezeichnet wird.
Das erste, was man als Tourist von Schmöckwitz zu sehen bekommt, ist die alte Dorfkirche. Hier endet nämlich die Straßenbahnlinie 68, die direkt aus Köpenick in den Berliner Vorort fährt. Das Gotteshaus aus dem Jahre 1799, gebaut im schlichten und einfachen Stil des ländlichen Klassizismus, ist übrigens eine der über 50 Dorfkirchen, die es in der Hauptstadt gibt, und thront auf einem Erdhügel über dem ehemaligen Fischerort.
Natürlich musste auch Fontane seine Meinung zu dem Bau kundtun. Er fand das Gotteshaus „trist“. Uns dagegen gefällt die Schlichtheit und das Einfache. Wer Klöster und Kirchen besucht hat, zum Beispiel in Bayern, der weiß, wovon wir reden.
Über die Schmöckwitzer Brücke geht es in Richtung Schmöckwitzer Werder. Si heißt nämlich die Halbinsel zwischen Zeuthener See und Krossinsee. Von der Brücke, hoch über der Dahme, hat man einen guten Blick auf viel Wasser, teure Eigenheime und die eine oder andere kleine Insel. Das geschichtsträchtigste Eiland von allen liegt ein paar hundert Meter weiter nördlich, mitten im Seddinsee. Der Legende nach soll hier der Fischer Kahnis gelebt haben. Theodor Fontane hat die Story in seinem vierten Buch der „Wanderungen“, natürlich genüsslich mit einem Seitenhieb auf den Fischerort, aufgeschrieben.
Fontane und der Fischer Kahnis
Die Kurzversion geht so: Einst lebte hier der Fischer Kahnis. „Dieser hatte eine junge Frau, eine Kossätentochter aus Schmöckwitz, die sehr blond und ausgesprochen hübsch war, viel hübscher, als man nach ihrem Geburtsort hätte schließen sollen“ (Zitat Fontane). Als 1806 Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte mit seinen Truppen in Brandenburg einrückte, fürchtete der Fischer, die schmucken Franzosen könnten seiner Frau den Kopf verdrehen. Er siedelt darum prompt mit ihr auf eine winzige Insel im Seddinsee um, unter einem Vorwand, den seine Frau ihm gutgläubig abnahm, „weil ihr Verstand gerade die Höhe von Schmöckwitz hielt“ (ebenfalls ein Zitat von Fontane). Der Plan des Fischers ging übrigens auf: Kein Franzose setzt je einen Fuß auf die Insel. Als Napoleons Truppen ein paar Jahre später wieder abzogen, hatten sich der Fischer Kahnis und seine Frau dort so gut eingerichtet, dass sie einfach blieben.
Hinter der Schmöckwitzer Brücke geht es rechts in Richtung Wald. Nach hundert Metern kommt die Badestelle, ein beliebter Treffpunkt für Sonnenanbeter und Wassernixen. Ein paar Meter weiter wartet mit dem Waldhotel am See ein Ort mit Geschichte auf die Wanderer. Die Architektur lässt DDR-Vergangenheit erahnen. Das Gebäude war früher ein beliebtes FDGB-Ferienheim für verdiente Forstarbeiter und hieß „Berthold Brecht“. 1953 wurde es gegründet. Nach der Wende kamen die Japaner und machten ein Studentenheim draus. Am 25. Oktober 2020 wurde das Hotel in Waldhotel am See umbenannt.
Wir lassen den Zeuthener See zur rechten Hand liegen und wandern durch den Jagen 37 in Richtung Krossinsee. Der bildet an seinem Westufer die Grenze zu Brandenburg. Auf der anderen Seite liegen die Ortschaften Wernsdorf und Ziegenhals.
Die Kiefer dominiert
Wie überall in Brandenburg dominiert hier die Kiefer. Eichen und Buchen sind im 18. Jahrhundert dem Holzhunger und dem Bedarf nach Brenn- und Bauholz der wachsenden Stadt Berlin zum Opfer gefallen. Wieder aufgeforstet wurde mit der schnell wachsenden Kiefer. Allerdings setzt langsam ein Umdenken ein.
Es läuft sich gemütlich entlang, am Ufer vom Krossinsee. Ein paar Schwäne krakeelen im Schilf, umgestürzte Bäume ragen in das Gewässer. Die Stürme der vergangenen Jahre haben ihre Spuren im Wald hinterlassen.
Rauchfangswerder – Das Kap Horn von Berlin
Nach etwa fünf Kilometern nähern wir uns unserem Ziel: Das Kap Horn von Berlin. Rauchfangswerder ist der südlichste Zipfel der Hauptstadt. Und wer jetzt im geistigen Auge bereits das Selfie von diesem magischen Ort vor sich sieht, den müssen wir hier an dieser Stelle enttäuschen. Ihr kommt da nicht ran. Es ist alles zugebaut. Privatgelände. Das macht aber nichts. Über den Gartenzaun aufs Wasser guggen ist erlaubt. Schließlich geht es ja um die Sache: Man war hier. Das alleine zählt.
Der Ortsteil mit seinen 500 Einwohnern gehört übrigens auch zu Schmöckwitz. Früher lebten hier die Familien vor allem vom Fischfang. Dann kauften sich wohlhabende Berliner hier ein Grundstück. Wenig später entstand an einer kleinen Bucht das „Waldhaus“, eine große Ausflugsgaststätte, die vor allem im Sommer von Berliner Tagesausflügler besucht wurde. Erst seit 1920 gehört Rauchfangswerder zu Berlin. Das Restaurant Waldhaus ist seit den 1990er Jahren Geschichte. Da stehen jetzt Einfamilienhäuser. Kurz vor dem Ortseingang, gegenüber der neuen Feuerwache, findet ihr ein Berliner Kuriosum: einer der beiden privat geführten Friedhöfe in der Hauptstadt.
Am Ufer des Zeuthener Sees entlang geht es zurück nach Schmöckwitz. Immer fest im Blick dabei ist der markante Turm der evangelischen Martin-Luther-Kirche von Zeuthen. Sie wurde 1915 erbaut. Übrigens: Der Fontane-Wanderweg verläuft am Westufer des Sees entlang, durch das Naturschutzgebiet Höllengrund nach Königs Wusterhausen. Parkanlagen, interessante Ortszentren, Gedenkstätten und Bezugspunkte zu Theodor Fontane bieten viele Informationen an. In Rauchfangswerder, also am Kap Horn, dem südlichsten Punkt Berlins, war der große Dichter allerdings nie gewesen. Er hat da was verpasst.